Sächsische Zeitung 18.05.2011
Handicap Nachfolge
In Sachsen stehen bis 2014 4400 Firmen zur Übergabe an. Das Netzwerk „Folgerichtig“ führt Chefs mit Interessenten zusammen – zum Auftakt beim Bürogolf.
Mit Golf hat Christina Strohbach-Knaller nichts am Hut. Und doch hat die Gastwirtin aus der Sächsischen Schweiz ein Handicap:„Ich suche einen Nachfolger für meine ,Ziegelscheune‘ in Krippen.“ Mit dem Ansinnen ist sie nicht allein. Laut Mitgliederdatenbank der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden gibt es im Regierungsbezirk etwa 4 400 Unternehmen, deren Inhaber(innen) 65 Jahre und älter sind. Fast die Hälfte hat keine familieninterne Lösung zur Rettung des Lebenswerks parat. Zahnärztin Karla Büttner, seit 20 Jahren selbstständig, ist diese Sorge los. Sie weiß, dass Tochter Maja mal ihre Praxis in Rabenau bei Freital übernehmen wird. Und doch sind beide beim Bürogolf-Turnier in der Zentrale der Ostsächsischen Sparkasse Dresden dabei. Nicht zuerst um die neun Golflöcher, sondern um Experten und Gleichgesinnte zu treffen. Nicht vordergründig um Preise, sondern um Informationen zu ergattern. Der Weg zur Übergabe kennt größere Hindernisse als einen Golf-Parcours. Und er dauert länger als ein zweistündiger Schlagabtausch zwischen Schreibtisch und Drucker: bis zu fünf Jahre. Beim Bürogolf behindern Stühle, Schreibtische und Blumentöpfe. Bei der Firmenübergabe sind es geringes Eigenkapital, hartleibige Banken, Fallstricke bei der Vertragsgestaltung, Steuern – vor allem aber Unwissenheit.
Dem zu begegnen, haben Sparkasse, IHK und Gründerinitiative Dresden exists jetzt ein Nachfolgenetzwerk gegründet. Sein doppeldeutiger Titel: „Folge richtig“. „Das Thema ist nicht neu“, sagt IHK-Chef Detlef Hamann. Seit Jahren gebe es Instrumentarien, aber sie überzeugten nicht. „Und es gab zu viele Alleingänge“, ergänzt Steffen Markgraf, Regionaldirektor der Sparkasse. Nur im Netzwerk lasse sich das Problem lösen.
Von der Chiffreanzeige zum Du
„Ein Patentrezept gibt es nicht“, sind sich die Beteiligten einig. Dazu gehört auch Frank Pankotsch von Dresden exists. Bislang habe die Gründerinitiative Firmenübernahmen als Weg in die Selbstständigkeit unterschätzt, räumt ihr Chef ein. Doch das soll sich ändern. „Wir brauchen Vorbilder, wie es gehen kann“, sagt er. Das Netzwerktrio sieht sich dabei „als Lotse“. Detlef Hamann von der IHK kritisiert vor allem „das hohe Maß an Anonymität, das es aufzubrechen gilt“. Zwar suchten viele händeringend einen Nachfolger, aber niemand solle es wissen – womöglich aus Scham oder der unbegründeten Sorge, Kunden zu verlieren. Für die 50 Frauen und Männer beim Bürogolf-Turnier ist die Teilnahme eine Mutprobe. Bislang lief die Kontaktsuche über Chiffre-Anzeigen. Und nun gleich mit Wildfremden per du sein? Das ist eine Grundregel bei jenem sonst Etikette freien Trendsport, der vor ein paar Jahren aus den USA auch nach Deutschland schwappte – zuerst als Pausenbeschäftigung krisengefrusteter Banker und Aktienanalysten. Noch hat die Golfausrüstung in den Büros nicht den Status der Kaffeemaschine, aber immer öfter wird geputtet, wie es im Fachjargon heißt. Der Ball darf nur Boden, Schläger und Loch berühren. Für Kontakte mit Wänden und Hindernissen gibt es Strafpunkte. Das war’s an Regeln. Platzreife ist ein Fremdwort, Bürogolf kann jeder. Findige Unternehmer haben sich damit ein Geschäftsfeld erschlossen. Thomas Huth und Robert Noack etwa, die als Chefs einer Veranstaltungsagentur bereits Bürogolf- Clubs in Dresden, Chemnitz und im Elbland initiiert haben. „Der Kerngedanke ist, sich kennenzulernen“, sagt Thomas Huth. Beim Bürogolf kämen Geschäftsleute ins Gespräch. Der Beweis wird auch an diesem Abend erbracht. Mittendrin: Gastwirtin Christina Strohbach-Knaller. Das sei ihr erster Kontakt bei der „Operation Ziegelscheune“. In den nächsten fünf Jahren wolle sie das Krippener Gasthaus mit acht Beschäftigten und 17 Betten abgeben. Ihre Devise: „Ehe man schlecht wird, sollte man es der Jugend überlassen.“ In dem fast 100 Jahre alten Familienbesitz stecke nicht nur Geld und Arbeit, sondern auch Herzblut, sagt sie. Spätestens als das gerade sanierte Hotel 2002 in der Elbeflut versank und wieder renoviert wurde. In der „Ziegelscheune“ geboren, sei sie praktisch ihr ganzes Leben im Unternehmen. Entsprechend bedacht wähle sie ihren Nachfolger aus. Und wie soll der oder die sein? „Zuverlässig, und er darf keine Illusion vom Leben in der Dienstleistung haben“, sagt die Unternehmerin. „Das ist ein Ganztagsjob, und das 365 Tage im Jahr.“
Schwerste Aufgabe: Loslassen
Und was wird für Christina Strohbach- Knaller bei der Übergabe wohl die größte Herausforderung? „Das Loslassen“, sagt sie schnell. Und geht es langsam an. Die Fast-60-Jährige macht sich keinen Druck. Da ist es, das gute Beispiel, von dem das Folge-richtig-Netzwerk träumt. Die Ziele beim Bürogolf gleichen einem Aschenbecher mit aufgestecktem Fähnchen. Über acht kreisrund angeordnete Metallwippen kann der Ball ins Ziel rollen. Vorausgesetzt, man trifft auf einer Entfernung zwischen drei und zwölf Metern über Flure und Treppen, vorbei an Kopierern und Papierkörben. Es gewinnt der mit den wenigsten Schlägen. Doch auch an diesem Abend gerät die Siegerehrung zur Nebensache. Zwar gab es für die Besten „echte“ Golfkurse in Possendorf bei Dresden. Aber Sieger waren alle. Im besten Fall gewann man einen Firmenübernehmer bzw. -übergeber, neue Freunde oder Geschäftspartner. Zumindest gewann man an Erfahrung. Und sei es die, dass Bürogolf nichts mit Minigolf zu tun hat.
Michael Rothe